Von Viola ter Horst

COESFELD. Bernhard Kühte muss die Schlüssel nicht mehr angucken. Er fühlt es sofort, welcher der richtige ist. Es sind genau solche Schlüssel, wie man sie sich für eine Gefängniszelle vorstellt: Mindestens so lang wie eine ganze Hand. Und sie knarzen genauso, wie man sich das vorstellt, wenn man sie im Schloss umdreht. Schwer und eisern.

„So", sagt Kühte und öffnet schmunzelnd die schwere Tür.

Seit 1979 ist er als Vollzugsbediensteter in Coesfeld, seit drei Jahren leitet er das Gefängnis. Er kennt jeden Zentimeter „seiner Anstalt". Jetzt geht er in den Ruhestand. Es ist seine letzte Stunde im Gefängnis. Sein letzter Rundgang. Seit gut einer Woche ist das Gefängnis bereits leer. Die Zweiganstalt von Münster soll nicht mehr weiter geführt werden. Bis zum Jahresende läuft noch der Mietvertrag, und wenn es andernorts Platzprobleme geben sollte, bietet Coesfeld weiterhin Zellen. Was danach aus dem Gefängnis wird, ist noch offen.

„So sieht das hier aus", sagt Kühte. „Gehen Se man ruhig rein." Es ist eine Vier-Bett-Zelle. Eisen-Etagenbetten. Eine einfache Holzplatte als Unterlage. Darauf kamen die Matratzen, die jetzt bereits weggeräumt sind. Ein schmaler Schrank. Ein Tisch, ein Stuhl. Das Fenster steht offen. Gitter davor.

„Die Anzahl an Gefangenen in NRW ist rückläufig", erklärt Kühte. Von 18 000 in 2005 auf jetzt 16 000. Außerdem spielen wohl auch die Kosten eine Rolle für die Schließung. Coesfeld ist ein kleines Gefängnis. 42 Männer fanden hier Platz, in 24 Zellen. Und das kleine Gefängnis erfüllt nicht mehr alle Anforderungen, wenn nicht umgebaut würde. „Gefangene haben heute rechtlich einen Anspruch auf Einzelzellen", erklärt Kühte. „Wir haben zwar auch Einzelzellen, aber nicht nur."

Alles ist alt. Nahezu antik. Auf den Türen in der unteren Etage stehen sogar noch Kubikmeter-Zahlen. „So hat man früher die Zellengröße angegeben", erklärt Kühte.

Die Zellentür ist so, wie man sich das vorstellt: Schweres Holz, mit dickem grauem Lack und mit dunklen Eisenbeschlägen. Ein Guckloch. Ein Namensschild: Ein Täfelchen. Wenn der Gefangene entlassen war, drehte man es um.

Das Gefängnis hat vier Etagen. Jede Etage ist gleich geschnitten: Ein langer Flur, rechts und links Türen. Aber jede Etage ist anders gekachelt. Unten sind schlichte hellgelbe Kacheln an den Wänden. Oben sind blaue: hellblau und dunkelblau gemusterte. 50er-, 60er-Jahre- Schick.

Es ist Kühtes letzte Stunde. Um 15 Uhr ist Schluss, dann ist er im Ruhestand. Ein Kollege wird jetzt in Coesfeld vorbeischauen und nach dem Rechten sehen, solange das Gefängnis noch im „Stand-by-Betrieb" ist. Für Kühte gehen über 37 Jahre Gefängnis zu Ende. Er hat 1978 in Münster angefangen, kam 1979 nach Coesfeld und blieb. Seit drei Jahren leitet er die Zweiganstalt Coesfeld. „Kleine Einrichtungen haben auch ihre Vorteile", findet er. „Manche Gefangenen kommen in den modernen großen Häusern nicht klar."

Auf den Türen steht in alter Schrift, was dahinter ist. „Bücherei", „Küche", „Ärztezimmer".

Einmal haben es Gefangene geschafft, auszubrechen. So, wie man sich das vorstellt: „Sie haben die Gitter zersägt und sind dann mit verknoteten Bettlaken raus", erzählt Kühte. Das war 1993, in der Zeit diente das Coesfelder Gefängnis für die Abschiebehaft. Die Männer stammten aus Rumänien. Was aus ihnen geworden ist, weiß Kühte nicht. „Ich glaube, die hat man nie gekriegt." Die Gitter seien später ausgetauscht worden, zuvor habe man weicheres Metall benutzt. Es sei der einzige gelungene Ausbruch aus dem Coesfelder Gefängnis in seiner Zeit gewesen, sagt Kühte.

Eine Einzelzelle. Ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl, ein Klo. „Naja, es wird nicht mehr geheizt und es ist niemand da", sagt Kühte entschuldigend. „Man konnte sich das eigentlich schon ganz wohnlich einrichten."

Im Coesfelder Gefängnis waren Männer, die mit einer Haftzeit von bis zu neun Monaten verurteilt wurden. Einige kamen immer wieder. „Die haben es einfach nicht geschafft", sagt Kühte. Er redete immer alle mit Namen an. „Der Unterschied zu einem großen Gefängnis ist, dass man hier 40 Namen hat und in einer großen Einrichtung 40 Gefangene", sagt Kühte.

Im Innenhof hat einmal ein Bediensteter einen kleinen Teich angelegt. Der Kicker steht dort noch. Ein aufgemaltes Schach-Feld. Bäume. Bänke. Ein Spielfeld.
Alles verlassen. Aber noch alles da. Falls plötzlich Häftlinge kommen.
Das Ärztezimmer eingerichtet, als ob jeden Moment ein Patient zur Untersuchung einträte. Die Bücherei: Wände voller Bücher, ein Schreibtisch, ein PC. Es war das Reich des Seelsorgers.
Der große Schlüssel. Ungefähr 15 Zentimeter lang. Kühte dreht ihn um, ein letztes Mal, ohne hinzusehen.

Gefängnis geht auf 1856 zurück

Im Jahr 1856 wurde das Grundstück an der Borkener Straße zur Erstellung eines Gefängnisses und eines Gerichtes von der Stadt gekauft. Einige Jahre später wurde das Gebäude errichtet. Nebenan befand sich dort damals das Gericht, heute ist dort die Kreishandwerkerschaft. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gericht durch Bomben zerstört, das Gefängnis teilweise beschädigt. Es wurde renoviert und wieder hergestellt und diente dann als Zweiganstalt der Justizvollzugsanstalt Münster.

Allgemeine Zeitung vom 20.10.2015