MÜNSTER. Er selbst bezeichnet die Bücherei hinter Gittern an der Gartenstraße gern als „Seelenapotheke für Gefangene“: Für Gerd Peschers, Theologe und Bibliothekar aus und mit Leidenschaft, sind Mauern keine Barrieren, wenn es um die Vermittlung von Literatur geht.

Vor zehn Jahren hat der 50-Jährige den Förderverein Gefangenenbüchereien gegründet. Inzwischen sind es 110 Mitglieder, darunter Persönlichkeiten wie der Schauspieler und Gefängnisarzt Joe Bausch sowie die Architektin Prof. Julia Bolles-Wilson. Als sie 2005 ihr Konzept für die Neugestaltung des Lesesaals vorstellte, war das quasi die Initialzündung für den Förderverein.

Der Raum im optimistischen Grün mit seinen verspiegelten Wandelementen lässt die Bücherei im Schnittpunkt zweier Zellenflügel noch größer, heller, freundlicher und offener erscheinen. Der vorteilhaft umgestaltete Lesesaal mitten in der ältesten NRW-Haftanstalt avancierte schnell zu einem bundesweiten Vorzeigeprojekt für sinnvolle Freizeitgestaltung durch Unterhaltung, Bildungs- und Selbsterfahrung. Und die Bücherei soll ein „Angebot der Begegnung sein, das Perspektiven für die Zeit danach vermitteln kann“, so Peschers.

„Rund 80 Prozent der Gefangenen nutzen das Angebot, viele kommen hier bei uns erstmals in Kontakt mit einem Buch“, sagt Peschers.

Beliebt sind Comics, Fremdsprachen-Lehrbücher und Veröffentlichung über Recht und Gesetz. Natürlich auch Krimis und Gedichtbände, die neuen Wilsberg-Folgen gibt es in der Mediathek zu leihen. Manche Literaturklassiker hingegen bleiben eher im Regal liegen, insgesamt stehen rund 9000 Titel und immer die aktuellen Bestseller zur Verfügung. Im Gegensatz zu anderen Gefangenenbüchereien, wo die Häftlinge in der Zelle aus einem Katalog ihren Lesewunsch auswählen müssen, können die JVA-Insassen in Münster selbst in den Bücherregalen stöbern und aussuchen. Literatur in 30 Sprachen übrigens.

Selten finden sich bei der Nachkontrolle in den ausgeliehenen Werken auch handschriftliche Vermerke über Verstecke und Bestellungen. Werden sie entdeckt, kommt das Buch nicht mehr zurück ins Regal.

2007 wurde die Gefangenenbücherei mit dem Deutschen Bibliothekspreis aufgewertet und seit dieser Zeit geben sich hochkarätige Autoren wie Sten Nadolny, Wolfgang Hohlbein und Erich Loest für Lesungen hinter münsterischen Gittern die Klinke in die Hand.

Der Förderverein setzt sich für die Weiterentwicklung der Büchereiangebote ein, will die Zusammenarbeit mit anderen Justizanstalten und Behörden intensivieren sowie die Bürger „zu solidarischer Mitverantwortung animieren“, so Peschers. Helmut P. Etzkorn

Westfälische Nachrichten vom 25.11.2015